ESG: vom Nice-to-have zum Business Case

European/Digital Public Affairs
Mann steht vor einem großen Display mit der Aufschrift ESG

Unter dem Kürzel „CSR“ war Nachhaltigkeit lange Zeit noch als bloßes PR-Thema verschrien. Heute ist sie Zentrum eines normativ geprägten Wandels, der alles durchdringt. Politik und Finanzmärkte werden in den kommenden Jahren Wirtschaftsmodelle radikal zur Nachhaltigkeit umbauen. Wo genau das hinführt, weiß keiner, aber dass kein Weg daran vorbeiführt, ist gewiss. Wer nicht auf der Strecke bleiben will, muss ESG als den neuen Business Case verstehen und danach handeln. 

Die nachhaltige Transformation hat begonnen – ESG auf dem Vormarsch 

Die Klimakrise zwingt moderne Gesellschaften dazu, den sich verschärfenden ökologischen Problemen, wirksame Lösungskonzepte entgegenzusetzen. Damit verbunden ist ein wachsendes Bewusstsein für gesellschaftliche Verantwortung. Die Politik auf europäischer sowie auf nationaler Ebene gibt hierfür den Rahmen vor und dirigiert zunehmend die nachhaltige Transformation der Wirtschaft. So hat die Europäische Kommission unter Leitung von Präsidentin Ursula von der Leyen mit dem europäischen Green Deal – dem Plan für ein nachhaltiges und wettbewerbsfähiges Europa – die Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDG), sowie das Pariser Klimaabkommen von 2015 zu einem zentralen Bestandteil aller legislativen Maßnahmen der Europäischen Union gemacht. Die Themen Umwelt- und Klimaschutz, sowie soziale Verantwortung stehen an der Spitze der europäischen Agenda.  

Die EU-Wirtschaft sieht grün – ESG made in Brussels 

Im Rahmen des Green Deals setzt die EU eine Reihe weitreichender Maßnahmen um, die die Wirtschaft und die Finanzmärkte in den kommenden Jahren radikal umgestalten werden. Unabhängig von Energiewende, Mobilitätswende oder Kreislaufwirtschaft, alle Unternehmen werden direkt oder indirekt von den Veränderungen betroffen sein. In allen Industriezweigen und Sektoren wird Nachhaltigkeit die entscheidende Richtung vorgeben.  

So befindet sich derzeit eine Richtlinie über die Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen in Ausarbeitung. Das europäische „Lieferkettengesetz“ soll Unternehmen dazu verpflichten, Menschenrechte sowie Umweltvorschriften nicht nur im eigenen Betrieb zu gewährleisten, sondern entlang ihrer gesamten Lieferkette. Eine neue Richtlinie zur Ausweitung und weiteren Standardisierung der Nachhaltigkeitsberichtserstattung soll außerdem mehr Transparenz und Vergleichbarkeit schaffen und die Nachhaltigkeitsberichterstattung auf das gleiche Level wie die Finanzberichterstattung heben. Hinzu kommt die EU-Taxonomie, mit der Umweltziele definiert wurden, an denen sich bemisst, welche Wirtschaftsaktivitäten als nachhaltig anerkannt werden. Die so entstehende “grüne Liste” dient insbesondere dazu, Greenwashing zu vermeiden und Investitionen hin zur ökologische Transformation zu lenken. 

ESG als Business Case 

Die tiefgreifenden Regulierungen der EU und das, was sie in weiterer Folge noch mit sich bringen werden, geben klar den neuen Business Case eines jeden Unternehmens vor. Zusammenfassen lässt er sich am besten mit dem aus der Finanzwelt stammenden Begriff ESG: Environment, Social, Governance. Ein Abgleich mit den Inhalten der EU-Maßnahmen verrät, dass es sich bei den ESG-Kriterien um die Grundlage für zukünftige Geschäftsmodelle und Finanzierungen handelt. Sie sind die neue „License to operate“ von Unternehmen und werden damit zur entscheidenden strategischen und operativen Herausforderung. 

Mit der EU-Taxonomie und der verschärften Nachhaltigkeitsberichterstattung werden Finanzierungs- und Versicherungskosten stärker von ESG-Ratings bestimmt. Wer attraktive Kredite erhalten oder Investoren gewinnen möchte, wird seine ESG-Leistung offenlegen und damit überzeugen müssen. 

Außerdem werden ESG-Themen zunehmend die Kommunikation und Beziehung mit Stakeholdern dominieren. So wird man als Unternehmen zur Wahrung der Sorgfaltspflichten seine Zulieferer nach ESG-Kriterien auswählen. Gegenüber Kunden wird die Transparenz der eigenen ESG-Leistung zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor, da die Kunden ihrerseits auf ESG achten müssen. Gesellschaft und Politik sind ohnehin Treiber des neuen Narratives und müssen gezielt in ESG-Fragen adressiert werden. Und auch als Aspekt des Employer Brandings wird ESG eine entscheidende Rolle spielen, schließlich möchte niemand für ein Unternehmen „von gestern“ arbeiten.  

Letztendlich hängen damit die Risikoexposition sowie Reputation wesentlich von der ESG-Performance ab. ESG wird zum erfolgs- und existenzkritischen Faktor. Kein Unternehmen wird sich mehr erlauben können, Nachhaltigkeit als reines PR-Thema zu bedienen. Deshalb sollte man sich als Unternehmen spätestens jetzt mit den neuen Regulierungen auseinandersetzen, ESG als den neuen Business Case verstehen und umgehend handeln.  

ESG – Die drei Dimensionen nachhaltigen Wirtschaftens 

Doch was genau meint ESG in diesem Kontext? Environment umfasst die meist technischen Maßnahmen eines Unternehmens zur Verbesserung der Ökobilanz und Minimierung der Umweltauswirkungen. Dazu zählen beispielsweise die Emissionsreduktion in der Produktion (Scope 1) und der Lieferkette (Scope 3), der Umstieg auf erneuerbare Energien (Scope 2), sowie die Schonung natürlicher Ressourcen (Stichwort Recycling und Kreislaufwirtschaft). Social steht für die soziale Verantwortung eines Unternehmens, also für Aspekte wie die Wahrung der Menschenrechte, Mitarbeiterzufriedenheit oder gesellschaftliches Engagement; Unternehmen werden zunehmend als „Corporate Citizen“ gesehen. Nicht zuletzt muss sich all das in der Governance – der verantwortungsvollen Unternehmensführung – widerspiegeln. Das bedeutet: ESG-Faktoren werden bei allen strategischen Entscheidungen berücksichtigt, in der Unternehmensorganisation verankert und die Unternehmenskultur entsprechend angepasst. Außerdem ist ESG ein wichtiger Teil der Unternehmenskommunikation und der Positionierung nach außen. 

Mit ESG wird deutlich, wie breit die Themen Nachhaltigkeit und grüne Transformation heute gedacht werden müssen. Es geht nicht mehr um die Umsetzung einzelner Maßnahmen innerhalb alter Strukturen und nach alten Mustern, sondern vielmehr um einen globalen Shift, einen System-Change hin zu einer neuen Wirtschaftsweise, die unsere Zukunft und unser Überleben sichern wird.   

Jetzt auf Governance-Ebene die Weichen stellen, Richtung Corporate ESG-Transformation 

Vor diesem Hintergrund steht insbesondere die verantwortungsvolle Unternehmensführung im Fokus, die Ausgangs- und Schlüsselpunkt eines jeden Change-Prozesses Richtung ESG-Integration ist. Um wirkungsvolle Maßnahmen planen und umsetzen zu können, braucht es tiefgreifende Bewusstseinsbildung der Mitarbeitenden auf allen Ebenen, sowie strukturelle Anpassungen in allen Abteilungen. Es reicht nicht mehr, nur eine verantwortliche Person für Nachhaltigkeit oder eine abgegrenzte Nachhaltigkeitsabteilung vorzuweisen, sondern in jedem Tätigkeitsbereich des Unternehmens muss eine neue Denkweise etabliert werden, bei der ESG immer mitberücksichtigt wird. ESG-Experten bleiben natürlich wichtige Akteure, die für die Etablierung der neuen Unternehmenskultur und Wirtschaftsweise sorgen. Immer mehr Unternehmen ernennen zu diesem Zweck Chief Sustainability Officer – CSO, was die Tragweite von ESG unterstreicht. 

Der Change muss von einer wirkungsvollen ESG-Kommunikation nach innen und außen begleitet werden. Hier gelten die neuen Spielregeln der Kommunikation, die Gebote des Storytellings. Eine moralisierende und politische Öffentlichkeit prägt den gesellschaftlichen Diskurs. Das heißt im Kontext von ESG: Unternehmen werden nicht länger als neutrale, unabhängige Einheiten gesehen, sondern als Corporate Citizens, die selbst direkt oder indirekt Position beziehen. Das ist Fluch und Segen zugleich, denn als Corporate Citizen läuft man Gefahr zu sehr zu polarisieren. Es bedeuted aber auch, dass man die diskursive ESG-Kommunikation mit ihrer Wirkungsmacht als strategisches Instrument nutzen kann. Vor allem gegenüber der Politik ist gute ESG-Kommunikation ein Türöffner für Einflussnahme und Mitbestimmung. Kampagnen-Fitness, fluide Allianzen und kooperativ erarbeitete Inhalte sind Schlüsselelemente von Digital Public Affairs und ermöglichen eine zeitgemäße ESG-Positionierung.